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SPIELTRIEB

Vergangene Freuden

Computerspieler haben den Ruf, dem immer noch aktuelleren Game hinterherzujagen. Doch es gibt auch Sammler unter ihnen. Sie suchen nach alten Spielen, die von ihren Herstellern aufgegeben wurden und längst nicht mehr vertrieben werden. Im Internet werden sie fündig


Die Leipziger Games Convention, Europas einzige Fachmesse für elektronische Unterhaltung, Computer und Spiele, hat angekündigt, die diesjährige Ausstellungsfläche im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent auf 70 000 Quadratmeter zu vergrößern. Jedes Jahr werden in Deutschland rund 25 Millionen PC-Spiele verkauft. Die Spieler verlangen immer nach den jüngsten, grafisch anspruchsvollsten Schöpfungen der Programmierer. Die Computerspielbranche ist ein vorwärts gewandtes Geschäft – die Produkte von gestern sind nur dazu da, möglichst heute, spätestens morgen übertrumpft zu werden.

Einige Enthusiasten sehen das nicht so. Teilweise übertrifft ihre Wertschätzung der Klassiker jene für die aktuellen Hits um ein Vielfaches. Mindestens aber sind sie der Ansicht es gelte, die Perlen von früher zu bewahren. Was gar nicht so einfach ist. Eine Reihe von Hindernissen stellt sich der gebührenden Ehrung längst vergangener Spielwelten entgegen. Zunächst einmal ist es die Technik. Software, die die 10-Jahres-Altersgrenze überschritten hat, läuft auf modernen Betriebssystemen schlicht und einfach nicht. Findige Programmierer haben sich daher die Mühe gemacht, so genannte Emulatoren zu schreiben. Diese werden vor dem eigentlichen Spiel gestartet, um ihm die benötigte alte DOS-Umgebung vorzugaukeln. So ist es möglich, auch heute noch den Lieblingstitel aus der eigenen Kindheit zu spielen.

Das andere Hindernis ist brisanter, weil rechtlicher Art. Laut Gesetzgebung verbleiben alle Rechte an einem geistigen Werk für mindestens 70 Jahre bei dessen Urheber, dessen Erben oder gesetzlichem Vertreter. Für ein Gemälde, für Bücher oder Musikstücke mag dieser Zeitraum angemessen sein. Doch für die geistigen Werke der schnelllebigen Computerära kann diese Regelung den Tod durch Vergessen bedeuten. Denn schon nach kurzer Zeit bleiben selbst die größten Kassenschlager in den Regalen liegen wie Blei und die Hersteller kümmern sich um den nächsten Titel. Wenn man Glück hat, dann bekommt man noch eine Zeit lang Patches, Fehlerbehebungen nach dem ersten Erscheinen, nachgereicht und kann das Spiel in Sammelboxen oder als verbilligten Restposten bekommen. Selten jedoch übersteigt dieser Zeitraum mehr als fünf Jahre.

Einige Freunde alter Spiele lassen sich von diesen gesetzlichen Regelungen nicht abschrecken und haben es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu sammeln und auf Internetseiten wie in einem Museum auszustellen. Und weil ein Spiel eben auch gespielt werden will, kann der Besucher solcher Seiten es nach dem Betrachten der Screenshots auch gleich herunterladen und selbst ausprobieren.

„Wir glauben, dass, obwohl diese Spiele nicht mehr aktuell sind und den Firmen keinen Profit mehr bringen können, sie auch weiterhin erhältlich sein sollten für Leute, denen sie am Herz liegen“, sagt Kosta Krauth. Kosta betreibt die in Kroatien ansässige Seite Abandonia.com - mit bis zu 90.000 Besuchern täglich eine der beliebtesten Websites für Abandonware. Abandonware, von dem englischen Verb abandon für „aufgeben“, heißt diese Software. „Im Grunde geht es dabei um die Konservierung“, sagt Kosta. Denn hat eine Firma erst einmal den Support für ein Spiel eingestellt, „hören diese Spiele im Wesentlichen auf zu existieren.“ Er möchte so viele Menschen wie möglich erreichen, weshalb die Seite in mittlerweile neun Sprachen auf dem Laufenden gehalten wird. Eine Altersgrenze für Spiele gibt es nicht. Besteht ein Spiel den Qualitätstest, wird es in das Archiv aufgenommen. Das älteste stammt derzeit aus dem Jahr 1977.

Dass es den Betreibern von Abandonware-Seiten nicht ums bloße Verbreiten von alten Computerspielklassikern geht, zeigt die akribische Arbeit, die sie in die Darstellung der Spiele stecken. So findet sich zu den Titeln meist ein ausführlicher Testbericht, der auf die Handlung und den Spaßfaktor, aber auch auf die technischen Aspekte eingeht. Hinzu kommen oft noch Lösungen oder andere Tipps, zahlreiche Fotos aus dem Spiel und ein Diskussionsforum, in dem man sich mit anderen Spielern austauschen kann. All das macht Arbeit, so dass eine solche Seite selten von einer Person allein betreut wird. Meist kümmert sich ein ganzes Team um das Einstellen neuer Spiele, das Verfassen von Reviews und die Moderation der Foren.

Trotz allen Enthusiasmus bewegen sich die Anbieter von Abandonware dennoch auf unsicherem Terrain. „Wir versuchen so nah wie möglich an der legalen Seite zu bleiben,“ beschreibt Kosta das Problem mit den Urheberrechten. Eine ausführliche Recherche soll garantieren, dass ein Spiel von keinem Händler mehr verkauft und auch von den Herstellern selbst nicht mehr angeboten wird. „Bisher scheint unsere Erforschung des Abandonware-Status der Spiele sorgfältig genug gewesen zu sein – bislang gab es keine Beschwerden,“ freut sich Kosta. Sollten doch noch welche kommen, so werden die Downloadlinks eben durch einen Verweis zum Hersteller oder Verkäufer ersetzt.

Nur wenige Softwareschmieden kümmern sich aktiv um ihre alten Klassiker. Doch manchmal werden sogar die Quellcodes für ehemals beliebte Spiele veröffentlicht. Damit wird es für andere Programmierer möglich, die grundlegenden Strukturen einer Software nachzuvollziehen und selbst Änderungen vorzunehmen. Ein Beispiel dafür sind etwa die ersten beiden Teile der (in Deutschland wegen seiner Brutalität indizierten) Doom-Reihe, um die sich inzwischen eine lebhafte Szene entwickelt hat, die immer neue Level programmiert oder die Grafik und die Spielsteuerung deutlich aufgefrischt und an aktuelle Standards angeglichen hat. Nun, auch solche Leute freuen sich über das Angebot von Abandonia.com.

Ein anderer Grund für den Hersteller, ein Spiel kostenlos ins Netz zu stellen, besteht in Marketingzwecken. Kurz nach der Veröffentlichung des jüngsten Teils seiner GTA-Serie im vergangenen Jahr ließ Rockstar Games die Meldung verbreiten, dass der zweite Teil nun auch kostenlos auf der Homepage zum Download bereitstehe. Für Kosta ist das nur konsequent: „Es hat mich immer etwas verwundert, warum diese Firmen keinen 'Schrein' für ihre überholten und alten Spiele haben. Sie würden kein Geld verlieren, wenn sie diese Spiele anböten, während es eine wirklich nette Geste in den Augen der Öffentlichkeit wäre.“

Von den wenigen Ausnahmen abgesehen scheinen die Computerhersteller jedoch kein Interesse daran zu haben. Fragt man beim VUD, dem Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland, in dem viele Spielehersteller vertreten sind, nach Abandonware, so erfährt man, dass das Thema bislang nicht behandelt wird. Für die Betreiber von Abandonware-Seiten ist das positiv, müssen sie sich doch so wenigstens keine Sorgen um Strafverfolgung machen.

(c) ZEIT.de, 10.05.2005


 
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